Fokus Ost


Friedrich Schrader – Wolmirstedter und Weltbürger mit Türkeikenntnis.
November 7, 2013, 8:39 pm
Filed under: Archiv 2007

Magdeburg / Berlin. „Was das türkische Volk braucht, und was seine wirklichen Freunde ihm wünschen, ist Bewegungsfreiheit für seine geistige, politische und materielle Entwicklung, die jetzt total unterbunden ist. Es ist dann alle Aussicht vorhanden, dass es zu seiner Zeit ein brauchbares Mitglied der europäischen Völkerfamilie werden wird.“ So beschrieb Friedrich Schrader 1900 in „Die Neue Zeit“ den politischen Zustand der Türkei. Seine Worte haben noch heute, mehr als 100 Jahre später, Gültigkeit. Denn auch die aktuelle politische Situation der Türkei im Hinblick auf die Verhandlungen zur Aufnahme in die Europäische Union – sei es als privilegierte Partnerin oder als Vollmitglied – sind umstritten. Diesen politischen Weitblick bewies Schrader bereits damals.

Friedrich Schrader erblickte am 19. November 1865 in Wolmirstedt das Licht der Welt. Am Domgymnasium in Magdeburg absolvierte er sein Abitur. Der Sozialdemokrat und Orientexperte beherrschte mehrere Sprachen, darunter türkisch, arabisch und russisch, arbeitete als Schriftsteller, Dozent, Übersetzer und Journalist mehr als zehn Jahre im heutigen Istanbul.

Viel Engagement legt Friedrich Schrader in die deutsch-türkischen Beziehungen. Dabei war ihm jedoch nicht nur die Popularisierung deutscher Kultur im Orient wichtig, sondern auch, die neue türkische Kunst nach Deutschland zu transportieren. So erschienen damals in deutschen Blättern wie der „Frankfurter Zeitung“, im „Vorwärts“ und in „Die Neue Zeit“ sowohl regimekritische Artikel als auch Rezensionen und Berichte über die aktuelle Schriftstellerszene der Türkei. Seine politischen Texte, deren Kritik die osmanische und die deutsche Politik betrafen, schrieb er bis 1908 unter dem Pseudonym „Ischtiraki“ – übersetzt der Sozialist.

Sein Ziel war es, durch den euromediterranen Geist der Weimarer Klassik einen Grundstein für einen kulturellen Dialog zwischen Deutschland und dem Orient zu legen. Denn besonders Goethe berief sich ja nicht nur auf die Antike, sondern speziell in seinem Werk „West-östlicher Divan“ auf die islamische Tradition. An Schillers 150. Geburtstag inszenierte Friedrich Schrader mit einem türkisch-armenischen Theaterensemble eine Gedenkfeier, die an das Leben und Wirken des Schriftstellers erinnern sollte. Diese Bemühungen brachten ihm sowohl in der heutigen Türkei wie auch in Deutschland Ansehen. So berichtete der Schriftsteller Otto Flake in verschiedenen Essays über Begegnungen mit dem Wolmirstedter am Goldenen Horn.

Positiv bewertete Schrader damals die jungtürkische Bewegung. Diese versuchte er im humanistischen Geist von Goethe und Schiller zu beeinflussen. Heftig kritisierte er die beginnenden Verfolgungen von Nichtmuslimen, vor allem Christen, die bis 1917 im Genozid an den Armeniern gipfelten.

Resigniert über den Rassismus der Jungtürken legte er seine journalistischen Tätigkeiten erst einmal auf Eis und widmete sich als Mitglied der Städtischen Kommission Konstantinopels der Erfassung und Katalogisierung islamischer und byzantinischer Baudenkmäler. Mit einem Team türkischer Experten erfasste Schrader bedrohte Bauwerke der Stadt. Trotz der politischen Entwicklung in Schraders Wahlheimat, dem kranken Mann am Bosporus, pflegte er weiterhin zu nicht-türkischen Intellektuellen freundschaftliche Kontakte.

Dies schärfte auch den Blick für die engstirniger werdende politische Entwicklung unter den jungtürkischen Reformkräften. In seinem Buch „Eine Flüchtlingsreise durch die Ukraine – Tagebuchblätter meiner Flucht aus Konstantinopel“, zu der er sich 1918 auf Grund drohender Internierung durch die Entente-M ächte gezwungen sah, schreibt er über „das Unerhörte, was im Orient geschehen war, die fast völlige Vernichtung der armenischen Bevölkerung Kleinasiens.“

1919 ist Schrader wieder in Deutschland. Bis zu seinem Tode im August 1922 lebt und arbeitet er in Berlin und schrieb unter anderem für die „Deutsche Allgemeine Zeitung“. Dort traf er auch auf den in Salzwedel geborenen Friedrich Meinecke, den späteren Gründungsrektor der Freien Universität Berlin.

Seiner Heimat blieb Schrader bis zuletzt treu. Immer wieder schrieb er Leitartikel für die „Magdeburgische Zeitung“, die älteste deutschsprachige Zeitung. Die Vorgängerin der Volksstimme erschien von 1664 bis 1945 ununterbrochen in Magdeburg. Die politische Großwetterlage vor und während des ersten Weltkrieges blieb auch in Deutschland Schwerpunkt seiner Berichterstattung.

Nimmt man nun die Ereignisse in der Türkei der letzten Jahre in den Blick, den Krieg gegen die Kurden im eigenen Land, die Unterdrückung der Alewiten, den Mord am armenischen Redakteur Hrant Dink, ist die Warnung von Schrader nach wie vor aktuell, die er angesichts des nationalistischen Gebarens der jungtürkischen Bewegung und der sie unterstützenden deutschen Militärs niederschrieb : „Wir dürfen auch im Ausland nicht, wie wir bisher getan haben, stets zu der Partei halten, die es auf Vergewaltigung wichtiger Kulturelemente zugunsten der eigenen nationalen Vorherrschaft abgesehen hat. Das wird sich stets rächen, wie es sich in der Türkei gerächt hat. Wir hätten nicht türkischer sein dürfen als der Türke.“
Nachfahren von Friedrich Schrader leben heute nicht mehr in Wolmirstedt. Sein Urenkel lebt in Heidelberg, sein Enkel in Bamberg. Sie wissen nicht mehr viel über ihren Weltenbürger-Opa. Denn Kriegswirren, Flucht und nicht zuletzt seine etwas nebulösen Todesumstände hatten zur Folge, dass es kaum Hinterlassenschaften des Universalgelehrten gibt. Der Urenkel Dr. Jochen Schrader vermutet, dass sich vielleicht noch Material in alten osmanischen Archiven in Istanbul finden ließe, aber wer spricht schon osmanisch – es sei denn, es fände sich ein Turkologe, der sich auf Spurensuche begäbe.

Erschienen am 31. August 2007 in „Volksstimme“  (Regionalausgabe Wolmirstedt, inzwischen offline); online unter URL: http://www.volksstimme.de/vsm/nachrichten/lokales/wolmirstedt/?em_cnt=414362& [22.7.2008].



Arm aber Bio – ein Interview mit Rosa Wolff
August 28, 2012, 6:00 am
Filed under: 2011
22. Juli 2011, Greifswald

Rosa Wolff
Rosa Wolff ist Food-Journalistin und lebt in München. Sie hat das Kochbuch „Arm aber Bio“ geschrieben und im Eigenverlag „Edition Butterbrot“ publiziert. Die Idee zu dem Buch, das neben zahlreichen Rezepten einen Erfahrungsbericht beinhaltet, kam ihr, als sie selbst knapp bei Kasse war, aber nicht auf Naturkost verzichten wollte. Am Rande der Veranstaltung zu Produktqualität und Massenverbreitung von Lebensmitteln der Heinrich_Böll-Stiftung am 14.7. in Greifwald sprach FokusOst mit der Autorin.


Für Lebensmittel konnten Hartz IV-EmpfängerInnen 2009 täglich 4,35 Euro ausgeben. Reicht das, um sich gesund und ausgewogen zu ernähren?

RW: 4,35 Euro sind bitter wenig, auch ohne den Ehrgeiz, sich mit Naturkost zu ernähren. Selbst beim Discounter ist dies schwierig.

Wie ist Ihnen der Spagat gelungen, bei ihren finanziellen Möglichkeiten gesunde Lebensmittel zu konsumieren?

RW: Wenn man bereit ist, alles selbst zuzubereiten und keine Fertigwaren, sondern Grundzutaten einkauft, ist auch im Bio-Segment überraschend viel möglich. Basis-Lebensmittel wie Kartoffeln, Zwiebeln, Karotten, Lauch, Kohl, Zucchini, Nudeln, Mehl, Eier, Butter, Joghurt, Äpfel, Bananen sind absolut erschwinglich und ermöglichen eine fast unbegrenzte Vielfalt an Zubereitungen. Wenn man sich erst mal darauf einlässt, macht es auch Freude, zu entdecken, was alles geht. Allerdings ist mehr Planung nötig, denn einfach mal unterwegs an der Imbissbude essen, geht bei 4,35 Euro nicht. Egal ob Bio oder Nicht-Bio.

Sollten nicht alle Lebensmittel – egal ob konventionell hergestellt oder biologisch – gesund und unbelastet sein?

RW: In der Regel sind bei uns auch die Lebensmittel aus der sogenannten konventionellen Landwirtschaft gefahrfrei zu konsumieren, die Grenzwerte werden meistens eingehalten, oft auch deutlich unterschritten. Das heißt, die Qualität für den Verbraucher ist – vordergründig betrachtet – okay. Aber mir ist nicht egal, wie Lebensmittel hergestellt werden. Auch wenn ein Pestizid, Insektizid, Herbizid oder Fungizid – lauter hochwirksame Gifte – am Ende nicht mehr nachweisbar ist, es gelangt in die Erde, die Luft und ins Wasser und richtet dort Schaden an. Ich möchte aber nicht nur gutes Essen auf dem Teller haben, sondern auch sicher sein, dass es auf verantwortungsvolle Weise erzeugt wurde. Denn dann schmeckt es mir besser.

Gab es Lebensmittel, auf die Sie verzichtet haben?

RW: Klar, es gibt Einschränkungen. Was gar nicht geht, sind große Fleischportionen. Schnitzel ist nicht drin. Aber ist dies wirklich so schlimm? Wir wissen doch eigentlich, dass alles dagegen spricht, weiterhin so üppig Fleisch zu konsumieren, wie es derzeit üblich ist: So riesige Fleischmengen können nur durch unwürdige, tierquälerische Massentierhaltung gewonnen werden. Wir schaden damit der Umwelt und dem Klima, denn der Energie- und Wasserbedarf sowie der CO2-Ausstoß bei der Erzeugung von Fleisch, Eiern und Milchprodukten ist immens. Nicht zuletzt geht dies zu Lasten der Ärmsten in der Dritten Welt. Nach dem Motto: „Das Fleisch der Reichen frisst das Brot der Armen.“

Haben Sie es geschafft, sich gesund und ausgewogen zu ernähren?

RW: Ich habe mich durch die Aufmerksamkeit, die ich ins Einkaufen und Kochen investiert habe, paradoxerweise von dem wenigen Geld besser ernährt, als ich es sonst tue, wenn ich mehr Geld ausgebe, mir aber weniger Zeit nehme.

Wo gab es die größten Schwierigkeiten? Haben Sie mehr Zeit zum Zubereiten und Einkaufen benötigt? Wie lautet das Fazit zu ihrem Experiment?

RW: Das Fazit war für mich überraschend positiv. Ich habe zwar tatsächlich mehr Zeit zum Einkaufen und Zubereiten benötigt. Das heißt aber auch, ich habe nicht achtlos gegessen. Ich habe gelernt, dass die schlechteste Ernährung, unabhängig vom Preis, achtlos nebenher zu essen, ist.

Ernähren Sie sich ausschließlich von Bio-Lebensmitteln oder gibt es Aussnahmen?

RW: Nicht ausschließlich, aber überwiegend. Ausnahmen mache ich zum Beispiel gern, wenn ich an exotischen Läden vorbeikomme und Früchte entdecke, die ich nicht kenne, ich bin neugierig. In türkischen, indischen oder arabischen Läden einzukaufen, ist immer ein bisschen wie Urlaub.



Russian administration ignores inter-ethnic conflicts
Mai 30, 2012, 2:23 am
Filed under: Uncategorized

Independent Experts at the FUEN-Congress in Moscow: Mass Media and Administrations in Russian Federation should not ignore the protests of Kumyk people in Dagestan as well as the ethnic minority issues in generally. FUEN appeals on Russian Government to save the ethnic minorities rights to political participation and mother tongue.

Linguistic diversity and the preservation of languages in Europe are the main topics of the annual congress of the Federal Union of European Nationalities (FUEN). This 57. annual FUEN-Congress first time took place in Russian Federation hosted by the German-Russian House in Moscow and supported by diverse Western European Ministries and NGO´s like the Society for threatened peoples[1]. More than 90 minority organizations from 30 countries in Europe are represented by FUEN, the oldest pan-European NGO, founded in 1949.

Beside speeches and lectures of experts from Russian Federation and the EU the focus of the event laid also on concrete recent issues of the ethnic minorities in Russian Federation. The situation in the Republics of Dagestan, Kabardino-Balkaria, Tatarstan and the problems of the Shor people from Kemerovo region were discussed.

Since a couple of days thousands of Kumyks are demonstrating in Dagestan for solving their land problems and for rehabilitation of these former deported people. Dr. Ramazan Alpautov pointed out, that the mass medias completely ignore those civic actions outside the Russian centre. He is preparing now applications for registration of a Federal Cultural Autonomy together with other Kumyk intellectuals of the Kumyk civil rights movement. “The local municipalities are waiting for directives from the administration in Moscow and do not react on the problems in the region” said Alpautov. But the exigent situation should solve immediately and peacefully[2]. The Kumyks in protest camps near Makhatshkala want to get back their land which they lost 1944. That time they were deported to Chechenya, shortly after the Chechens were deported to Central Asia.

The FUEN adopted a resolution – supported by the Society for Threatened People International[3]to the administrations and authorities of Europe and especially to the government of the Russian Federation: “FUEN calls upon the government of the Russian Federation to provide for more recognition of the minority language-speaking people in Russian Federation. The Russian Federation should be committed to human rights as a fundamental value of human existence. The ethnic minority rights in generally and especially in the field of mother tongue education (also for ethnic minorities outside national Republics, Counties and Rayons[4] as well as those peoples, who do not have a national administration subject of their own like the Shor people of Southern Siberia) should be respected”. As an main issue of the FUEN accepted the congress the campaign for the “Right to language”. In that context FUEN appealed to the Russian administration for ratification of the European Charta for Regional- or Minority-languages (which was already signed by Russia 1992) and adequate implementation of the aims and provisions enshrined in it.


[3] The Society for Threatened People is a main institution for Human Rights and Minority rights issues with offices in Chile, Bosnia, Austria, Switzerland, Luxemburg, Iraq, Italy etc. with headquarter in Göttingen, Germany; see: http://www.gfbv.de

[4] For instance instead abolishing the Tatar National Schools outside the Republic of Tatarstan they should assist.Image



Plädoyer für Perspektivenwechsel
Februar 18, 2011, 3:20 pm
Filed under: 2011
(erschienen in „Islamische Zeitung“ Nr. 188/Feb. 2011, S. 18)

Mehr Achtung für die Geschichte des Islam in Deutschland und Osteuropa ist nötig.

26.01.2011    Von Mieste Hotopp-Riecke, Berlin

(iz). Olaf Zimmerman, Geschäftsführer des Deutschen Kultur­rates, sagte bei der Präsentation des Dossiers „Islam Kultur Politik“ in Berlin, der beste Schutz gegen die Angst vor dem „unbekannten Muslim“ sei Wissen über das Fremde in unserer Nähe. Die zukünftige deutsche Gesellschaft könne nur unter Miteinbeziehung der hier lebenden Muslime und ihrer Kultur sinnvoll gestaltet werden. Das Dossier ist für die Allgemeinheit als erstes Gegengewicht im Anschluss an die Sarrazin-Debatte gedacht und als Überblick gelungen. Tilo Sarrazin hat augenscheinlich die Geschichte seines eigenen Namens als Auftrag missverstanden. Bedeutet Sar(r)azin (frz. Sarrasin) doch „der im Land der Sarazenen (Muslime/”Heiden”), im Morgenland geweilt hat“ beziehungsweise in seiner ethnischen oder religiösen Bedeutung „islamischen Völkern zugehörig“ oder im weiteren Sinne „heidnisch“, allgemein „fremdartig“. Der Name Sarrazin selbst kann also für eine längst vergessene Integration von „Fremden“ in Europa stehen.

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Geht es nun aber um Islam und Muslime in Europa, einen europäischen Islam oder die Geschichte des Islam in Deutschland, fehlt eine geografische Einheit fast gänzlich – nicht nur in diesem neuen Dossier, sondern im deutschen Feuilleton und im sogenannten Euro-Islam-Diskurs insgesamt. Dies gilt auch für den Großteil der neuesten Publikationen in der deutschen Wissenschaftslandschaft: Das muslimische Euro­pa jenseits von Oder und Neiße sucht man vergebens. Die über tausendjährige Geschichte des tatarischen Islam an Wolga und Kama, den Islam am Schwarzen Meer oder die über 600-jährige Geschichte des Islams in Polen und im Baltikum wird kaum wahrgenommen, die Euro-Islam-Debatten unter muslimischen Gelehrten und Intellektuellen Osteuropas weitestgehend ignoriert. Dabei „liegt das Glück so nah“, das Anerkennen dieser diskreten muslimisch-europäischen Integration könnte ein Beispiel geben und viel Aufgeregtheit um das scheinbar junge Phänomen „Islam in Europa“ nehmen. Tatarische Gemeinden mit Traditionen, die in das 15. Jahrhundert reichen, existieren bei unseren EU-Nachbarn in Szczecin/Stettin und Danzig/Gdansk, in Vilnius und Białystok und vielen weiteren Orten.


Was allgemein in Vergessenheit geraten ist – schaut man auf die deutsche Islamdiskussion -, jedoch unser Augenmerk gerade in Zeiten undifferenzierender erhitzter Debatten um Integration von Muslimen in Deutschland verdient hätte, ist die lange sächsisch-preußische Tradition des Respekts und der Toleranz gegenüber dem Islam in den vergangenen Jahrhunderten.

Olaf Hahn bemerkt zur Herausgabe des Dossiers: „Ein Dossier ‘Islam Kultur Politik’ kann nur am Anfang der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ausprägungen muslimischer Lebenswirklichkeit in Deutschland aus dem Blickwinkel der Kultur stehen. Es ist eine Einladung an die Öffentlichkeit, sich aktiv und konstruktiv in diese Auseinandersetzung einzubringen.“ Mich als Teil dieser Öffentlichkeit begreifend, möchte ich hier einige Denkanstöße skizzieren, die meines Erachtens sträflich vernachlässigt werden.

Um etwas das oben erwähnte „Wissen über das Fremde in unserer Nähe“ zu beleuchten, das – wie mir scheint – zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist, muss kurz auf einige Aspekte der preußisch-sächsisch-tatarischen Geschichte eingegangen werden, denn die Beziehungsgeschichte von Tataren und Deutschen ist gar nicht so exotisch, marginal oder fern, wie es auf den ersten Blick scheinen mag…

Militärallianzen
Schon während der Zeit der Tannenberg/Grunwald-Schlacht im 15. Jh. gab es Versuche von Seiten des Deutschen Ordens, mit den Tataren Allianzen zu schmieden. Die islamische Religionszugehörigkeit der Tataren spielte dabei keine Rolle, wurde den polnisch-litauischen Widersachern aber immer wieder vorgehalten, die ja 1410 mit den Tataren die Grunwald-Schlacht gewannen. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts änderte sich das internationale Kräfteverhältnis rasant: Nun kämpften tatarische Soldaten auf Seiten der Polen, später der Franzosen, Preußen und Sachsen, und auch die diplomatischen Beziehungen zwischen den Krim-Khanen und mitteleuropäischen Herrschern intensivierte sich.

Tataren und Preußen
Die militärischen Allianzen waren nur die eine Seite der Medaille: Die ersten preußisch-muslimischen Kontakte überhaupt dürften die zwischen dem Haus des Kurfürsten und des Khans der Krim gewesen sein. Schon am 7. März 1599 gelangte der erste Brief einer tatarischen Gesandtschaft unter „Mohomet Aga“ von der Krim an den brandenburgischen Hof.

Einige Jahrzehnte später, 1632, gab es einen nächsten brandenburgisch-tatarischen Kontakt und zwar zwischen einer krimtatarischen Gesandtschaft und dem Direktor des Kurfürstlichen Kriegsrates Gerhard Romilian von Leuchtmar, „Director des Kriegsrathes“ unter der Herrschaft von Herzog Georg Wilhelm von Brandenburg. Der Gesandte Sanduny Mehmet ‘Ali Mirza des Krim-Khans Mehmed IV. Giray weilte später 1656 mit seiner Delegation in Königsberg. Unter Meydan Gazi Mirza kam 1659 die dritte krimtatarische Delegation. Weitere Gesandtschaften und einen intensiven Briefwechsel gab es hernach über Jahrzehnte. Die Frauen der Krim-Khane schrieben den Königinnen von Preußen und umgekehrt, die Kurfürsten und Könige Preußens standen in Briefwechsel und diplomatischem Austausch mit der Krim.

Soldaten in Sachsen und Preußen
Tatarische Armeen waren im 17. ­Jahrhundert Verbündete der Preußen und schließlich dienten einige tausend tatari­sche Reiter in der Preußischen ­Armee. Wolga-Tataren, Lipka-Tataren und Krim-­Tataren dienten in den Husaren-, Bosniaken-, Ulanen- und Towarczy-Regimentern – sie kamen als Deserteure, als Söldner, Geschenk oder Beute. Die erste Initiative zur Aufstellung eines originär tatarischen Truppenkontingents des brandenburg-preußischen Staates aber datiert auf den 14. September 1675. Auf Anweisung von Kurfürst Friedrich Wilhelm von Preußen an Feldmarschall Fürst Johann Georg zu Anhalt beauftragte letzterer die polnischen Rittmeister Johann Rybinsky und Dobrogost Jaskolecky mit der Anwerbung von tatarischen Reitern für zwei Kompanien Towarczyz. Auf Geheiß Friedrich Wilhelms wurden diese ersten Kavallerie-Soldaten stationiert. Im Mai 1676 entschloss sich dann der Kurfürst, beide Einheiten wieder gen Polen zu entlassen. Einerseits wegen eines Aufrufes von polnischer Seite, andererseits, weil sie sich bei relativ hohen Kosten nicht im Kampfe bewährt hatten.

Ab dieser Zeit kamen immer wieder Tataren in die preußische Armee. Am bekanntesten sind wohl die 20 tatarischen Langen Kerls, die als Geschenk des Grafen von Kurland nach Potsdam ­kamen. 1732 erhielten diese ersten 20 tatarischen Langen Kerls per Edikt des Königs ihre Mescit (Gebetsraum) in Potsdam, wurden aber ebenfalls nach einiger Zeit wieder gen Heimat entlassen. Das berühmte preußische Toleranzedikt hat hier seine Wurzeln: „alle Religionen Seindt gleich und guht wan nuhr die leüte so sie profesiren Erliche leüte seindt, und wen Türken und Heiden kähmen und wolten das Land Pöpliren, so wollen wier sie Mosqueen und Kirchen bauen“. Im Jahre 1761 erfolgte schließlich die Errichtung eines „Corps Tartarischer Ulanen von acht Fahnen“, die 1762 zur Aufstockung des Bosniaken-Corps auf 10 Schwadronen führte. 1800 dann wurde das Corps in ein Regiment Towarczys umgewandelt, woraus 1807 ein Regiment Ulanen hervorging. 1778 gab es zwei weitere Werbungen. Die Einrichtung des einzigen namentlichen Tataren-Corps der preußischen Armee erfolgte erst 1795. Erster Kommandeur dieses Tataren-Pulks war General-Leutnant von Günther, der sein Leben lang den orientalischen Lanzenreitern verbunden war. Weitere etwa 2000 Tataren dienten schließlich in den Ulanen-, Husaren- und Bosniakeneinheiten. Das Gleiche gilt für die sächsische Armee, wo die ersten drei Tataren-Pulks seit Anfang des 18. Jahrhunderts Dienst taten.

Muslimische Untertanen in Preußen
Nach der dritten Teilung Polens kamen 1795 auch Gebiete mit autochthoner tatarischer Bevölkerung an Preußen. Die neuen Gebiete sollten auf den Stand der Zeit gebracht werden, denn ohne prosperierende Volkswirtschaft kein schlag­kräftiges Heer. Allein durch eigene Landeskinder aber war die „Preußische Armee“ nicht auf dem personellen Niveau haltbar. Die Preußische Armee wurde mit der Absicht, „ein möglichst starkes Heer zu haben bei denkbar größter Schonung der eigenen Volkskraft“, mit Rekruten vieler Nachbarländer aufgefüllt. Zwei Viertel der Gesamtstärke der Preußischen Armee waren per Ins­truk­tion vom 17. Juno 1742 durch Auslandswerbung sicher zu stellen. Auch die sogenannten Colonisten, angeworbene Neusiedler für Brandenburg und Preußen, stellten Soldaten, die als „Fremde“ eingestuft wurden.

Zur Zeit der Aufstellung des zweiten Tataren-Regiments unter General von Günther 1795 sah die Integration in die Preußische Armee auch eine gleichberechtigte geistige Betreuung vor: Bei Erreichung der Sollstärke sah die Regierung vor, auf Staatskosten je einen Imam („Caplan“) in Dienst zu stellen. Es war üblich, den neu gebildeten Regimentern eigene feste Kantone zuzuweisen, wo möglich mit Familien und Dienerschaft, und es wurde erwartet, dass die so „garnisonierten“ Mannschaften sich recht bald „nationalisieren“, also wie die böhmischen, holländischen und schottischen Kolonisten an die deutsch dominierte Gesellschaft assimilieren würden.

Ein vehementer Befürworter dieser kantonisierten Tatarenansiedlung war der Statthalter von Königsberg, Oberkammer-Präsident Friedrich Leopold Reichsfreiherr von Schrötter, der im Vorfeld der Rekrutierung seinen König zu überzeugen suchte, als er diesem schrieb, dass „Eure Majestät in Polen keine besseren Colonisten als diese Tartaren ansetzen können, sie stehen bei der Polnischen Nation (die an sich eine Abneigung gegen alle Deutschen hat) in Absicht ihrer Treue und Tapferkeit in Ansehen und Achtung, sie sprechen die Landessprache, sind aber von Religion, die wegen ihrer Einfachheit sich mehr der protestantischen nähert, wobei der ganze moralische Charakter dieser Nation, ihre Cultur von der Art ist, dass ich wünschte, einige tausende von diesen Familien den neu zu akquirierenden Ländern gegen dreimal so viel Polnische Familien ansässig machen zu können“. Zur Jahrhundertwende des 18./19. Jh. gedachte der preußische König wohl als einziger deutscher Herrscher, Muslime, Tataren aus Polen-Litauen, in seinem Reich anzusiedeln, Imame und Moscheen auf Staatskosten inklusive. In einem Brief am 13.8.1775 schrieb König Friedrich an seinen Freund, den Schriftsteller Voltaire, dass er mit 1.000 muslimischen Familien verhandele und freute sich: „Wir werden dann religiöse Waschungen haben und Illih, Allah singen hören, ohne uns darüber zu ärgern.“ Infolge der langjährigen militärischen Kontakte kamen auch Fachbegriffe aus dem Tatarischen ins Deutsche, so neben den turko-tatarischen Termini Ulan und Kasak zum Beispiel Tschisme, Kolpak, Attila, Schabracke, Dolman, Scharawade etc. Steinerne Zeugen der Geschichte des Islam in Deutschland sind in Form der Tatarengräber von Dippoldiswalde (*1762) und Kleinbeucha (*1813), des Tatarenfriedhofs von Zehrensdorf, der Ahmadiyya-Moschee in Berlin-Wilmersdorf (*1924), der Moschee in Schwetzingen (*1779) oder des islamischen Friedhofes in Berlin-Neukölln (gegründet 1798) zu sehen…

Soweit nur einige kurze Streiflichter auf die Geschichte. Arbeiten zu diesen Themengebieten erschienen in Deutschland von Karamuk, Pröhl, Emre, Schwarz, Abdullah und Theilig, wenn auch nur jeweils diplomatische Kontakte oder strategische Militärallianzen thematisiert werden und dies nicht explizit mit Blick auf die tatarisch-deutschen Allianzen beziehungsweise den christlich-muslimischen Kontext, sondern im Kontext der „Orientalischen Frage“.

Nähme man in den derzeitigen Euro-Islam-Debatten und der Diskussion um Muslime in Deutschland diese kurz angerissene einzigartige Geschichte des Islams in Deutschland beziehunsgweise der tatarisch-deutschen Beziehungen sowie die traditionelle preußische Toleranz enger in den Blick, würden sich viele Aufgeregtheiten sicher von selbst erledigen, zumindest jedoch darauf verweisen, dass der Islam bei weitem kein Phänomen erst seit der Gastarbeiteranwerbung ist.

Zöge man in den diversen Publikationen der letzten Jahre den Radius weiter, wenn es um Europa geht (denn häufig ist dort mit Europa schlicht West-Europa oder EU-Europa gemeint), stieße man hinter dem ehemaligen eisernen Vorhang unweigerlich auf einen agilen europäischen Islam, der nicht durch Schlagzeilen auf sich aufmerksam macht, ganz einfach weil es ihn schon so lange gibt, dass keine reißerischen Schlagzeilen davon zu erwarten sind: Die Anwesenheit des tatarischen Islam von Stettin bis Helsinki, von Riga bis Bukarest ist im Großen und Ganzen eine stille Erfolgsgeschichte der interkulturellen Akzeptanz und religiösen Toleranz. Die autochthonen tatarischen Muslime der EU-Staaten Polen, Litauen, Bulgarien, Finnland und Rumänien leisten schon jahrhundertelang ihren Beitrag für das Gemeinwohl ihrer Länder. Schaut man über den EU-Tellerrand hinaus, gibt es die reiche Kultur von europäischen Muslimen verschiedenster Nationalität zu entdecken. Warum eine Selbstbeschränkung in den (west-)europäischen Diskursen auf Pakistani in Großbritannien, Maghrebiner in Frankreich oder Türken und Kurden in Deutschland? Verwiesen sei hier auf das „Manifest des Euro-Islam: Wo ist unser Mekka“ von Rafael Khakimov, dem ehemaligen Präsidentenberater der Republik Tatarstan. Dies taugt augenscheinlich nicht für das Augenmerk von Skandalmedien und bleibt wohl so auch dem Feuilleton und etwa für Politik, Schulmedien und Islamwissenschaftler unattraktiv…

Ein Paradigmenwechsel weg von EU-eurozentristischer Islam-Integrationsdebatte und Fixierung allein auf den Migranten-Islam des 20. Jahrhunderts hin zu einer Anerkennung gemeinsamer christlich-islamischer Europageschichte, die die Euro-Islam-Diskurse Ost und West nicht weiter ignorant entkoppelt, sondern zusammenführt, könnte einen Bewusstseinswandel herbeiführen. Wenn Wolfgang Schäuble 2006 äußerte: „Der Islam ist Teil Deutschlands und Europas. Der Islam ist Teil unserer Gegenwart und unserer Zukunft“, so sollte jedem bewusst sein: In weiten Teilen Europas ist er auch Teil einer langen gemeinsamen Vergangenheit.



Kulturherbst mit Perlen tatarischer Musik in Berlin
Dezember 7, 2010, 7:57 am
Filed under: Archiv 2010

Tataren setzen auf Tourismus, Sport und Kunst

Von Anja Hotopp und Mieste Hotopp-Riecke (erschienen in Eurasisches Magazin,  Nr. 12, 2010)
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Die Daumenschraube der Zentralisierung und administrativen Regulierung wird seit Jahren in der Russländischen Föderation wieder fester angezogen. Einher geht dies mit der Einschränkung der Rechte ethnischer sowie religiöser Minderheiten und gilt insbesondere im Bereich der Wirtschaft der einzelnen `Föderationssubjekte`, den Oblasten und Teilrepubliken. Auch die gemeinhin als am unabhängigsten geltende Republik Tatarstan bekommt dies zu spüren: Nach der Auflösung ganzer tatarischer Fakultäten und dem Rückgang von Tatarisch-Schulen für Muttersprachler von 712 auf 490 nationale tatarische Schulen allein innerhalb der letzten fünf Jahre, behält das Moskauer Zentrum immer mehr regionale Steuerleistungen ein – zu Lasten der Peripherie. So bleibt den Kämmerern und Politikern an Wolga und Kama immer weniger Spielraum für eigenes Gestalten. Auch das Benutzen des lateinischen Alphabets für die tatarische Sprache ist seit 2002 per Gesetz verboten. Selbst der Name „Tatarstan“ wurde von dem beliebten Komfortzug der staatlichen Eisenbahn getilgt, anstatt Tatarstan fährt nun die Linie „1“. Davon scheinbar unbeeindruckt wird in Tatarstan auf Tourismus und Kultur gesetzt. Oder ist dieser Bereich das letzte Feld auf dem die Tataren noch selbst bestellen und ernten können? 

Im Bürgerkriegsjahr 1920 wurde von den Bolschewiki die Tatarische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik gegründet, nachdem der Versuch von Tataren und Baschkiren, einen eigenständigen Staat Idel-Ural (Wolga-Ural) zu etablieren, niedergeschlagen wurde. Dass nun das Datum der kommunistischen Gründung der tatarischen Republik von 1920 Anlass war, den 90. Geburtstag Tatarstans zu feiern, offenbart eindrücklich die Fixierung des Kalenders nach sowjetischer Geschichtsschreibung. Nichtsdestotrotz wurde das neunzigste Jubiläum groß gefeiert – auch in Deutschland.

Tatarische Klassik zum Geburtstag

Den Anfang machten in Deutschland private Kunstinitiativen wie die „Internationalen Sinfoniker Deutschland“ unter Arkadi Berin, die Musikagentur CANTICA und der Vorsitzende des Komponistenverbandes der Republik Tatarstan, Rashid Kalimullin. Cantica-Inhaber und Spezialist für Choral-Musik der Ostkirchen ist der letzte Direktor der DDR-Künstler-Agentur Hermann Falk. Die Idee war, mit tatarischen Künstlern aus Deutschland und Tatarstan sinfonische Werke tatarischer Komponisten zu Ehren des 90. Gründungsjubiläums der TASSR uraufführen zu lassen. Nach dutzenden Telefonaten, Mails und Überzeugungsgesprächen an der Wolga, gelang den Enthusiasten aus Deutschland dann, was noch keine tatarische Diaspora-Gemeinde erreicht hatte: In einer ezropäischen Hauptstadt außerhalb der Russländischen Föderation wurde das Jubiläum eines ihrer Föderationssubjekte gefeiert. Und wie! Nachdem bekannt wurde, welche Qualität und welchen Umfang die Feierlichkeiten haben sollen, sagte auch die Regierung von Tatarstan und die Russländische Botschaft in Berlin ihre Unterstützung zu. Aber bis kurz vor Konzertbeginn bangte Mitveranstalter Falk noch um den Erfolg der aufwendigen Produktion: Kaum 200 Karten waren verkauft! Doch Einwanderer aus dem Osten scheinen eher spontane Kulturgänger zu sein – am Abend des Konzertes war das Konzerthaus im Herzen Berlins gut gefüllt. Die tatarischen Diaspora-Vereine – Tatarlar Deutschland e.V., der Tatarisch-Baschkirische Kulturverein e. V. (TBKV), Tamga e.V. aus Berlin – halfen zusammen mit der Gesellschaft für Osteuropa-Förderung per Telefonketten, Mail-Aktionen und Wurfsendungen mit, das Jubiläum vorzubereiten. Und so kamen sie dann: tatarische Berlinerinnen und Berliner, ganze Familien der ersten bis vierten Generation, ihre deutschen Freunde und Kollegen, Studenten und Dozenten aller Berliner Universitäten, Vertreter des Senats und des Auswärtigen Amtes, das diplomatische Corps von Ländern wie Kasachstan, der Türkei, Lettland, Belgien, Österreich, Litauen und der Russländischen Föderation.

So führten private Initiative sowie die Liebe zu Kunst und Heimat im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt zu einem eindrucksvollen Abend sinfonischer Musik. Neben einem Werk von Tschaikowsky – der Festouvertüre “Das Jahr 1812″ – demonstrierten Stücke von tatarischen Komponisten die große Bandbreite sinfonischen Schaffens der Tataren: Von Farid Yarullin (1914-1943), Almaz Monassypov (1925-2008), Nazib Zhihanov (1911-1988), Renat Yenikeyev (geb. 1937) und auch vom Ideengeber des Geburtstagskonzertes Rashid Kalimullin (geb. 1957) kamen die Beiträge des Abends. Die an Emotionen und Klangfarben reiche sinfonische Musik tatarischer Komponisten wurde zum ersten Mal in Deutschland überhaupt von einem deutschen Orchester, den “Internationalen Symphonikern Deutschland” aus Dortmund, unter Leitung des Dirigenten Arkadi Berin gespielt. Der gut besuchte Große Saal des Konzerthauses, in dem diese Musik ihre deutsche Erstaufführung erlebte, gilt als einer der schönsten Konzertsäle Europa. Der Solist des Klavierkonzertes von Rashid Kalimullin war der Preisträger des letzten Tschaikowski-Wettbewerbes, der junge Pianist Fedor Amirov (Moskau). Wie ein entrückter Derwisch beherrschte er die Szenerie auf der Bühne. Sein exzentrischer Auftritt am Flügel überzeugte Publikum und Kritiker. Der Musikkritiker Volker Tarnow (Berliner Morgenpost) schrieb zur Farbigkeit tatarischer Sinfonik, diese könne „nach pathetischer Filmmusik klingen wie Zhiganovs Ouvertüre Nafissa oder nach purer Salonmusik wie die Ballade aus Yarullins Ballett Schürale, mal auch ziemlich ziellos durch die Gegend lärmen wie Yenikeevs Rhapsodie. Am meisten überzeugte, trotz extrem konservativer Tendenz, ein Satz aus Almas Monasypovs symphonischer Dichtung Musa Dshalil: bestes Emotionskino mit Trauermarsch-Rhythmus und wehmütiger Holzbläsermelodie. Sollte das deutsche Fernsehen jemals eine der großartigen Erzählungen Tschingis Aitmatovs verfilmen, bitte hier bedienen!“. Ein etwas unverständlicher Wermutstropfen im Konzertreigen des Abends war in den Augen einiger Gäste das gleich doppelte Spiel von Tschaikowskys musikalischer Lobpreisung “Gott schütze den Zaren” aus seiner “Festlichen Overtüre 1812″. Ironisch bemerkte jemand aus dem Publikum, dass gerade ein jüdischer Dirigent zu einem tatarischen Jubiläum dieses Stück bringt, sei wohl ein Katzbuckel vor den anwesenden Männern der russischen Botschaft gewesen; denn gerade jener geehrte Zar Alexander hätte Tataren und Juden damals heftig drangsaliert.

Der Soldatenkönig und die Tataren

Dieses große Event sollte nicht ungenutzt bleiben, dachten sich die Aktivisten der tatarischen Diaspora-Verbände und nahmen das Geburtstags-Konzert zum Anlass, im Herbst weitere Kulturereignisse zu organisieren. Es folgten in den kommenden Wochen tatarischer Volkstanz, Buchlesungen und weitere Konzerte. Gefragt weshalb gerade in Berlin die tatarische Kultur zum Jubiläum des fernen Tatarstan so umfangreich präsentiert werde, meinte Mieste Hotopp-Riecke, Vorstand bei TAMGA e.V. schmunzelnd: „Preußisch-tatarische Beziehungen haben Tradition, bei Kreuzrittern und dem alten Fritz eher auf militärischem Gebiet, heute zum Glück in Kultur und Wirtschaft“. Tatsächlich waren die ersten muslimisch-deutschen Kontakte nicht osmanisch-habsburgischer Natur, sondern schon im 15. Jahrhundert pflegten die Hochmeister des Deutschritterordens diplomatische Beziehungen zu den Tataren auf der Krim und später dienten einige tausend tatarische Reiter im preußischen Heer; preußische Königinnen standen im Briefwechsel mit den Gattinnen der Krim-Khane. Auf zwanzig geschenkte tatarische Lange Kerls geht auch die erste islamische Kultusgemeinde auf deutschem Boden zurück (per Königsedikt von Friedrich Wilhelm I. gab es ab 1739 in Potsdam eine Meçit, einen islamischen Gebetsraum). Auch einer der am häufigsten porträtierten Langen Kerls, Shverid Ridvanov, war ein Tatare…

Unweit vom Gendarmenmarkt, im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur (RHKW),  eröffnete der Präsident der Gesellschaft für Osteuropa-Förderung zwei Stunden vor dem Sinfoniekonzert die Foto-Ausstellung „Kasan. Kultur und Sport in der Metropole an der Wolga“ . Gezeigt wurden Großformate tatarischer Fotografen aus Tatarstan, Moskau und Berlin: Vom Erstliga-Champion Rubin Kasan, der Qul-Sharif-Moschee und Alltagskultur bis zu Folkloremotiven, Motorsport und Architektur reichte die Palette. Als Bonbons reicherten die Ölgemälde des baschkirisch-tatarischen Künstlers Rais Khalilov – Vorsitzender des Tatarisch-Baschkirischen Kulturvereins – die Exibition an. Zur Vernissage kamen unter anderem Zulfira Salechova, Leiterin des Kunst-Departements des Kultusministerium der Republik Tatarstan, Raschid Kalimullin, der Vorsitzende des Komponistenverbandes Tatarstans und Sekretär des Komponistenverbandes Russlands sowie Rezeda Akhiyarova, die Sekretärin des Komponistenverbandes Tatarstans. Salechova bedachte die Organisatoren der Diasporagemeinde mit Geschenken und – in alter sowjetischer Tradition – etwas für die Bürowand. Die Kulturaktiven Venera Vagizova (TAMGA e.V.), Ildar Kharissov (Gesellschaft für Osteruopa-Förderung e.V.) und Rais Khalilov (TBKV e.V.) erhielten neben CD-Schubern, Keramik und Büchern aus Tatarstan Dankesschreiben der Kultusministerin Tatarstans, Zilja Valeyeva. Weitere Gäste – etwa Vertreter des Parlamentes Tatarstans, Besucher aus Prag, Düsseldorf und Thüringen lauschten während der Vernissage den Klängen von Rafik Badrazakov (Flöte), Larissa Polender (Klavier) und Svetlana Zoryukova (Klavier). Auf der Ausstellungeröffnung  wurden Werke von Röstäm Yäkhin, Shamil Sharifullin, Almaz Monasypov, Svetlana Zoryukova, Leonid Lyubovsky und Luiza Batyrkaeva teils in deutscher Erstaufführung gebracht. Und ein weiterer Gast war zu sehen: Zulya Kamalova, tatarische Musikerin aus Australien.

Träume zwischen Wald, Wind und Jazz: Zulya live in Berlin

Zulya, geboren und aufgewachsen in Udmurtien und Tatarstan, zog während der Auflösung des sowjetischen Riesenreiches 1991 nach `down under`. Sie verbindet seitdem russische Chansontradition, tatarische Volksweisen ihrer Kindheit und Jazzelemente zu etwas Neuem: Didgeridoo trifft tatarische Maultrommel auf kleinen und großen Bühnen von London bis Sankt Petersburg. Zahlreiche Tourneen und sechs Alben zeitigten Erfolg. In den World-Music-Charts auf den vorderen Plätzen und wiederholte Prämierungen mit Musikpreisen in Australien und im alten ´Daheim` in Europa. Zu ihren drei faszinierenden Auftritten in Berlin brachte sie ihre neue CD mit. „Tales of Subliming“ entführen mit ihrer schmeichelnden, mal kräftigen mal sanften klaren Stimme und ihren perlenden melancholischen Kompositionen in eine Zauberwelt tatarisch-russischer Phantasie zwischen australischem Wüstenwind, grünen Wäldern des Ural und jazzigen Weltclubs des Globus. Das Publikum war  mit offenen Ohren gekommen und war sehr dankbar für anmutige Lieder ohne Pop-Klischees. Das die Künstlerin, die vorübergehend mit Mann und Tochter in Berlin Quartier bezogen hat, auch schwere Zeiten durchlebte, davon zeugen ihre schwermütigen aber nie hoffnungslosen Songs wie „A Girl Named Free“ oder „The Mermaid’s Tale“. Vor allem die tatarischen Landsleute waren freudig überrascht: Fast die Hälfte des Repertoires sang Zulya in ihrer Muttersprache Tatarisch, auch die Zugaben.  So zeigt sie von der Bühne herab, daß jenseits der polnischen Nachbarn noch andere Völker wohnen, auch wenn ignorante Kritiker sie weiterhin als russische Sängerin titulieren. Das ist sie sicher auch, aber neben der aus Rußland stammenden Australierin Zulya merkt man bei ihren tatarischen Liedern und den verhaltenen Statements auf der Bühne doch ihre innige Verbundenheit zur Kultur ihrer Ahnen.

Voller Klischees und doch so nah am Leben präsentierte Alina Bronsky im Herbst ihren neuen Bestseller „Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche“ in Berlin. Bronsky stammt wie Zulya Kamalova aus der multiethnischen Wolga-Ural-Region. Die Protagonistinnen ihres sarkastisch erfrischenden Romans – Großmutter Rosalinda, Tochter Sulfia und Enkelin Aminat – repräsentieren drei tatarische Generationen des Homo Sovieticus: Die Hauptperson Rosalinda als starke egozentrische Frau aus der bleiernen Breschnew-Ära hält den Familienbetrieb aufrecht gegen sowjetische Bürokratie und apatische Alkoholiker – die Männer. Tochter Sulfie symbolisiert wohl eher den zermürbenden Endzeit-sowjetischen Alltagspragmatismus und Enkelin Aminat steht für die neue Generation von postsowjetischen Auswanderern. Wie die Autorin wanderte Aminat schließlich in pubertärem Alter nach Deutschland aus. In manchmal grotesken Bildern malt Bronsky hier ein Bild der Zustände, die mit Zulya Kamalova und Alina Bronsky viele Landsleute veranlasste, ihr Glück woanders zu suchen, in der Hoffnung auf weniger Wirtschaftschaos, weniger russischen Chauvinismus, mehr Zukunft.

Mit dieser gemeinsamen Vergangenheit traten beide starken Frauen auf ihren Podien – Bronsky bei Lesungen, Zulya auf der Bühne – durchaus auch als Kulturbotschafter der Toleranz auf. Dazu befragt, ob Alina Bronsky in ihren Texten nicht etwas direkter auf die gesellschaftlichen Zustände in Rußland hätte Bezug nehmen können, konterte die Autorin, bei dem extremen Antisemitismus und Rassismus in sowjetischer und russischer Gesellschaft sei die Heirat einer Tatarin und eines Juden in ihrem Buch schon ein deutliches Statement…

Unter dem Eindruck des großen Erfolges dieses tatarischen Kulturherbstes in der deutschen Hauptstadt kam es zu zwei Treffen `Unter den Linden`. In der Russländischen Botschaft tauschten sich Botschafter Wladimir Grinin, der Direktor des RHWK Michael Wladimir, GOF-Präsident Ildar Kharissov und weitere Aktive über zukünftige Kooperationen im Kulturbereich aus. Im nächsten Jahr steht der 105. Geburtstag des tatarischen Nationaldichters Musa Dshälil bevor, der in Berlin von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Das Theater der Kalligrafie, das Ensemble „Tschiltan“ und die Kindertheatergruppe von TAMGA e.V. bereiteten sich auf nächste Auftritte vor und das alljährliche Sabantuy will rechtzeitig vorbereitet sein. Dieses „Fest des  Pfluges“ wird traditionell im Frühsommer durchgeführt und reicht auf vorislamischen Fruchtbarkeitsriten der Wolga-Ural-Völker zurück – ähnlich dem Erntedankfest in Deutschland. Unterstützung erfahren die Veranstalter dafür vom Weltkongress der Tataren, einem sozio-kulturellen Netzwerk mit Zentrum in Kasan, aber auch von der Russländischen Botschaft in Berlin und dem Berliner Senat. So sind die muslimischen Einwanderer aus Osteuropa hier in Deutschland längst Teil der Gesellschaft – ohne Integrationsdebatten im deutschen Feuilleton. Dass die turksprachigen Tataren sich zwischen ihren Türkeistämmigen `Brüdern` und russischen Landsleuten in Berlin immer wieder selbstbewusst einer allzu herzlichen Umarmung entziehen, ist dabei längst eingeübte Attitüde. Auch in der alten Heimat lässt sich Putin gern einmal mit der tatarischen Nationalkopftracht – der Tübetey – ablichten, zieht aber sonst seit Jahren mit Tandempartner Medwedew eine härtere Gangart gegen die kleinen Völker der Föderation durch.

Doch in Berlin heißt es „Der Zar ist weit“, man kooperiert und engagiert sich – für die Rechte der Tataren im Osten und mit den durchaus pragmatischen Russen in der Berliner Politik. Die ehrenamtlichen der Diasporaverbände werden weiter mit tatarischen Kulturinitiativen die Öffentlichkeit suchen, mit oder ohne Unterstützung von der Wolga oder Newa, auf jeden Fall aber mit kyrillischem und lateinischem Alphabet…

Links:

Zulya & The Children of the Underground

Alina Bronsky: “Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche” Leseprobe

Theater der Kalligrafie Ensemble Tschiltan

Tatarisch-Deutscher Integrationsverein TAMGA e.V.

Tatarisch-Baschkirischer Kulturverein e.V.

Tatarisch-Baschkirische Literatur -> Bertugan-Verlag Weiler a.R.:

Tatarlar Deutschland e.V.



Опасение, участие, оптимизм
Juli 23, 2010, 8:28 am
Filed under: Archiv 2010

В Бундестаге по инициативе Немецкого общества изучения Восточной Европы (DGO) состоялась конференция на тему «Внутренняя и внешняя политика Украины после изменения власти». 
Конференцию открыли депутаты Патрик Курт (Комитет по иностранным делам Бундестага), Рита Зюсмут (бывший президент Бундестага), а также президент Немецкого общества изучения Восточной Европы (DGO). Украину представляли спикер украинского парламента Владимир Литвин, а также депутаты Юрий Сербин (Блок Тимошенко) и Леонид Кочара (Партия Регионов). От Бундестага присутствовали депутаты Корнэлиа Пипер и Гернот Эрлер. Дискуссию вела Забинэ Адлер, руководитель главного отдела немецкого радио. Корнэлиа Пипер также является вице-председателем Либеральной партии Германии и государственным министром в Министерстве иностранных дел.
Седьмого февраля Украина выбрала нового президента. В марте парламент Украины вынес вотум недоверия правительству Юлии Тимошенко и таким образом к власти пришла новая коалиция под руководством Николая Азарова. Новому правительству удалось изменить курс внутренней и внешней политики Украины, который вызвал неоднозначную реакцию в стране, а также за рубежом, и стал причиной беспорядков в Верховной Раде. С помощью кадровых изменений на государственных и областных уровнях, правительство обеспечило себе поддержку в реализации «прагматического» курса. Для стабилизации государственного бюджета был подписан договор с Россией, который предусматривал поставку газа за более низкие цены в обмен на право продления срока аренды пунктов базирования Черноморского флота РФ в Крыму на 25 лет. Планируются также дополнительные соглашения в рамках украинско-российского сотрудничества. Такой курс политики вызвал опасение на западе Украины и он как будто подтверждает прогнозы, которые ставились во время предвыборной кампании.
Сторонники нового правительства, как и в стране, так и за рубежом, рассматривают изменения в правительстве и в парламенте как шанс реформировать и стабилизировать Украину. Для Европейского Союза такой политический курс является возможностью для стабилизации и интеграции Украины в европейское сообщество. Оппоненты такой политики предупреждают о возврате Украины к авторитарному режиму. Какую же цель преследуют представители украинского правительства, кардинально изменившие курс внутренней и внешней политики Украины? Какую позицию занимают представители правительства ФРГ и Бундестага по отношению к украинскому руководству? Преследует ли политики Германии собственную выгоду во внешней политики и оказывает ли они влияние на политику ЕС относительно Восточного партнерства, а также выдачу кредитов МВФ Украине?
Эти и другие вопросы обсуждались Корнелией Пипер и Гернотом Эрлером с представителями украинского парламента. Спикер Владимир Литвин выступил с вступительным словом. В своем выступлении он попытался рассеять сомнения немцев и заверял, что курс Украины относительно ЕС и НАТО не изменился. По словом Владимира Литвина, на сегодняшний день 70% украинцев поддерживают членство в Европейском Союзе. «Если мы и дальше будем придерживаться нынешней политики, то процентное число сторонников возрастет до 100%. Поэтому правительство работает сейчас над законодательной инициативой», – отметил Литвин. Рита Зюсмут подчеркнула, что «последующими шагами на сегодняшний день являются зона свободной торговли и безвизовый режим. Что же касается безвизового режима, то это будет возможно уже в ближайшем будущем». Но для этого, по мнению Риты Зюсмут и Владимира Литвина, Украина должна сначала побороть коррупцию, стабилизировать экономическую и законодательскую системы. А также такие апрельские беспорядки в Верховной Раде не внушают доверия и такое не должно больше никогда повториться. Владимир Литвин подчеркнул: «Мы исторически, политически, географически и духовно являемся европейской страной, но у нас еще много работы, чтобы достичь среднеевропейского стандарта». Курс нового правительства является прагматическим курсом. И с помощью такого политического прагматизма Владимир Литвин оправдывал быстрое сближение с Россией. Юрий Сербин (Блок Тимошенко), в свою очередь, критиковал процесс принятия государственного бюджета, на обсуждение которого ушло 5 минут. По его словам, оппозиция не имеет возможности принимать участие в политических событиях, решения принимаются за закрытыми дверьми.
Крымский вопрос
«Принимая во внимание неплатёжеспособность государства в следующем полугодии, у нас не было бы другой возможности, мы могли бы только реагировать, а не действовать». Такими словами защищал Владимир Литвин Харьковские соглашения по продлению срока аренды базирования Черноморского флота РФ в Крыму. Российская сторона не раз подчеркивала, что территориальная целостность Украины не ставится под вопрос. Крым является частью Украины. Конечно, опасение и беспокойство в Крыму относительно Харьковских соглашений понятны. По его словам, ситуация в Крыму снова стабилизовалась и никто не преследует цель обострять положение, поскольку правительство заинтересовано в консолидации политической ситуации и политической стабильности. Никто в Крыму не должен опасаться, что нынешний статус-кво измениться. Правительству удалось выбрать наиболее выгодную альтернативу, Харьковские соглашения, чтобы улучшить экономическую ситуацию в Украине. По мнению Владимира Литвина, более опасной для Украины и для Крыма являет собой вялая демократия. Следующие выборы очень важны для Украины: для многих власть это возможность получить доступ к государственным ресурсам. По его словом, это не только вредит престижу Украины, но и демократии. Государственный министр Корнэлия Пипер и президент Немецкого общества изучение Восточной Европы (DGO) Риты Зюсмунт подчеркнули вред такого поведения для демократии Украины. В целом, все политики рассматривают официальный визит украинских парламентариев как выигрыш. По окончанию конференции состоялся прием делегатов в Посольстве Украины в Берлине.
Немецко-украинская парламентская группа Бундестага под руководством Бербель Кофлер ожидает в гости делегацию крымскотатарских политиков под руководством председателя Меджлиса, депутата Верховной Рады Украины Мустафы Джемилева. Также предусмотрены встречи в немецком Бундестаге, в Министерстве иностранных дел и переговоры на уровне ведущих политиков всех партий, а также общественных организаций.

Автор: Мистэ Хотоп-Рике
Перевод Людмилы Мельник

Erschienen in Avdet [Heimkehr], Ukraine, Simferopol (Krim), Nr. 25 (604), 28.06.2010, S. 3

Artikel auf Deutsch:

Besorgnis, Anteilnahme, Optimismus

Ukrainische Politiker zu Besuch  im Herzen Berlins

Von Mieste Hotopp-Riecke

Auf Initiative der Gesellschaft für Osteuropakunde und der „Friedrich-Naumann-Stiftung Für die Freiheit“ fand im Deutschen Bundestag die Podiumsdiskussion „Die ukrainische Innen- und Außenpolitik nach dem Machtwechsel“ statt.

Die Veranstaltung wurde durch den Parlamentarier Patrick Kurth (Auswärtiger Ausschuss des Bundestages) und Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a.D. sowie Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, eröffnet. An der Podiumsdiskussion nahmen der Präsident des Ukrainischen Parlaments Wolodymyr Lytwyn, die Parlamentsabgeordneten Jurij Serbin (Block Timoschenko) und Leonid Kozhara (Partei der Regionen) sowie die Abgeordneten des Deutschen Bundestags Cornelia Pieper und Gernot Erler unter der Moderation von Sabine Adler, Leiterin des Hauptstadtstudios des Deutschlandradios, teilnehmen. Cornelia Pieper ist Vizevorsitzende der Liberalen Partei Deutschlands und Staatsministerin im Auswärtigen Amt.

Am 7. Februar wählten die Ukrainer Wiktor Janukowytsch zu ihrem neuen Präsidenten. Im März stimmte das Parlament mit einem Misstrauensvotum für die Absetzung der Regierung Julija Tymoschenko und machte den Weg frei für eine neue Regierungskoalition unter dem jetzigen Premierminister Mykola Asarow. Die neue Führung hat in den ersten drei Monaten nach ihrer Amtsübernahme die Weichen in der Innen- und Außenpolitik der Ukraine neu gestellt und löste damit heftige Debatten im In- und Ausland sowie einen handfesten Tumult in der Verkhovna Rada aus. Mit dem Personalaustausch in Schlüsselpositionen auf der Ebene von Staats- und Gebietsverwaltungen sicherte sich die Regierung eine breite Unterstützung für ihren deklarierten „pragmatischen“ Kurs. Zur Stabilisierung des Staatshaushalts unterzeichnete sie ein Abkommen mit Russland, das im Tausch gegen preiswerte Gaslieferungen eine Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte um weitere 25 Jahre vorsieht. Zusatzabkommen sehen auch in anderen Bereichen eine engere ukrainisch-russische Kooperation vor. Vor allem dies löste im Westen Befürchtungen aus, schien warnende Voraussagen aus der Wahlkampfzeit zu bestätigen.

Befürworter der neuen Regierung aus dem In- und Ausland sehen in der Machtkonzentration von Präsidialamt, Regierung und Parlament eine Chance für Reformen und Stabilität in der Ukraine – und eine Entlastung der EU, die sich in den vergangenen Jahren unter einem erheblichen Erwartungsdruck zur Stabilisierung und zur Integration der Ukraine in die europäische Staatengemeinschaft sah. Kritische Stimmen warnen vor einem Rückfall der Ukraine in autoritäre Strukturen. Welche Ziele verfolgen Vertreter der ukrainischen Regierung und der Koalitionsparteien mit den einschneidenden Kursänderungen in der Innen- und Außenpolitik? Und welche Positionen beziehen Vertreter aus Bundesregierung und Bundestag gegenüber der neuen ukrainischen Führung? Verfolgt die deutsche Außenpolitik eine eigene außenpolitische Strategie und welchen Einfluss nimmt sie auf die Östliche Partnerschaftspolitik der EU und die Kreditvergabe des Internationalen Währungsfonds zugunsten der Ukraine?

Diese und andere Fragen diskutierten Cornelia Pieper und Gernot Erler  mit den drei Vertretern des ukrainischen Parlaments. Zur Einführung sprach der Parlamentspräsident der Ukraine Wolodymyr Lytwyn. Er versuchte die Bedenken der Deutschen zu zerstreuen und beteuerte, daß sich an der Ausrichtung der Ukraine Richtung EU und NATO nichts geändert habe. „Momentan befürworten 70% der Ukrainer diese Perspektive nach EU-Europa. Wenn wir diese Politik weiterführen, wird die Zustimmung eines Tages bei 100% liegen“ so Lytwyn. Dafür arbeite die Regierung gerade an einer Gesetzes-Initiative. Rita Süßmuth betonte, die nächsten Schritte seien jetzt erst einmal ein Freihandelsabkommen mit der Ukraine und die Visa-Freiheit. Letzteres werde nicht sofort möglich sein, aber in naher Zukunft. Dafür, so Süßmuth und Lytwyn unisono, müsse die Ukraine erst einmal ihre Hausaufgaben machen: Bekämpfung der Korruption, Stabile Systeme in Wirtschaft und Justiz installieren. Und: Solche Tumulte wie im April in der Verkhovna Rada dienen nicht dem Ansehen und der Vertrauensbildung, so etwas sollte nicht wieder zu sehen sein. Lytwyn unterstrich „Wir sind historisch, politisch, geografisch und mental ein europäisches Land, doch wir haben noch viel zu tun, um mitteleuropäische Standards zu erreichen. Er charakterisierte die bisherigen Entwicklungsschritte der unabhängigen Ukraine als erste Phase der nationalen Gedanken (unter Kutschma), zweitens der wirtschaftlichen Entwicklung, drittens der demokratischen Werte (Janukowitsch) und nun sei die vierte Phase unter der neuen Regierung eingeleitet, die Phase des Pragmatismus. Mit diesem politischen Pragmatismus verteidigte Lytwyn die zügige Annäherung an Rußland. Serbin kritisierte heftig die extrem schnelle 5-Minuten-Verabschiedung des derzeitigen ukrainischen Staatshaushaltes, die Opposition werde nicht in das politische Geschehen einbezogen, Entscheidungen hinter zugezogenen Vorhängen gefällt.

Die Krim-Frage

„Wir hatten keine andere Chance, wenn wir nicht in einem halben Jahr vor der Zahlungsunfähigkeit hätten stehen wollen, wir konnten nicht agieren sondern nur reagieren“ So verteidigte Lytwyn das Schwarzmeerflotten-Abkommen von Charkiw. Die russische Seite habe – entgegen manchen Äußerungen von der Krim selbst – immer wieder betont, die territoriale Integrität der Ukraine stünde nicht in Frage. Die Krim sei ein Teil der Ukraine. Natürlich seien Besorgnis und Unruhe auf der Krim bezüglich der Charkiw-Abkommen verständlich. Jedoch habe sich die Lage jetzt wieder beruhigt auf der Krim. Niemand habe die Absicht, die Lage auf der Krim zuzuspitzen. Das Interesse der Regierung liege auf Konsolidierung der politischen Situation und politischer Stabilität. Niemand auf der Krim brauche befürchten, dass die derzeitige Status Quo sich ändert. Unter vielen schlechten Möglichkeiten, die extreme wirtschaftliche Situation in der Ukraine zu entspannen, habe die Regierung mit dem Charkiw-Abkommen, die am wenigsten schlechte Alternative gefunden.  Gefährlicher für die Krim und die Ukraine sei der Zustand der zarten Pflanze Demokratie. In der Ukraine zähle die nächste Wahl mehr als das Leben; Machtkontrolle um jeden Preis sei bei vielen die Maxime, um Zugang zu staatlichen Ressourcen zu erhalten. Dies schädige nicht nur das Ansehen der Ukraine, sondern gefährde die Demokratie, so Lytwyn. Auch Staatsministerin Pieper und DGO-Präsidentin Süßmuth betonten den Schaden, den die Demokratie der Ukraine durch solche unwürdigen Attitüden erleiden würde. Insgesamt schätzten alle Politiker den Besuch der ukrainischen Parlamentarier als großen Gewinn ein. Im Anschluss an die Diskussion fand noch ein Empfang bei Frau Dr. Zarudna, der Botschafterin der Ukraine in Deutschland, statt.

Die Deutsch-Ukrainische Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages unter ihrer Vorsitzenden Dr. Bärbel Kofler  erwartet nun als nächsten Besuch eine Delegation von krimtatarischen Politikern unter Leitung des Vorsitzenden des Medschlis, des Nationalparlamentes des krimtatarischen Volkes, und Abgeordneten der Verkhovna Rada, Mustafa Dshemilev. Vorgesehen sind ein parlamentarisches Frühstück im Deutschen Bundestag, Treffen im Auswärtigen Amt und Gespräche mit Spitzenpolitikern aller Parteien in Berlin sowie mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen.

M. Hotopp-Riecke, FokusOst



Offener Brief an Viktor Janukovitsch von Tilman Zülch (GfbV)
Mai 10, 2010, 6:37 pm
Filed under: Archiv 2010

Dokumentiert:                                                               Berlin, 25.4.2010

Offener Brief an den Präsidenten der Ukraine, Viktor Janukovič

Sehr geehrter Herr Präsident Janukovič,

wie viele Staaten Europas und Osteuropas ist die Ukraine ein multiethnischer und multireligiöser Staat. Dem trägt die ukrainische Verfassung Rechnung. Demnach sind die ethnischen und religiösen Minderheiten unter Schutz gestellt. Leider lässt die Umsetzung dieser Rechte zu wünschen übrig.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker setzt sich als internationale Menschenrechtsorganisation seit über 40 Jahren weltweit für die Rechte bedrohter und verfolgter Minderheiten ein. So unterstützt sie auch die Krimtataren seit vielen Jahrzehnten. 2006 hatten wir die große Ehre, den Menschenrechtspreis der Gesellschaft für bedrohte Völker an Herrn Mustafa Dschemilew zu verleihen, der vollkommen zu Recht als Gandhi der Krimtataren bezeichnet wird. Vor dem Hintergrund des entsetzlichen Schicksals der Krimtataren, die 1944 Opfer eines Genozids wurden, sind wir bestürzt über neuerliche Anfeindungen gegen deren demokratische Strukturen wie den Medschlis und den Kurultai. Anfang April dieses Jahres hetzte Oleg Rodivilov, der Führer des Russlandblocks im Parlament der Krim, gegen die Krimtataren. Der Medschlis sei kriminell und würde gegen die ukrainische Verfassung verstoßen. Auch die Russische Gemeinde auf der Krim und die Tavria Union haben sich in offenen Briefen an Sie gewandt mit der Forderung, den Medschlis zu verbieten. Diese Initiativen sind ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich seit Jahrzehnten unter schwierigsten Bedingungen für Demokratie und Freiheit eingesetzt haben. Die Krimtataren bedürfen Ihrer besonderen Aufmerksamkeit und Unterstützung. Im Namen der Gesellschaft für bedrohte Völker bitte ich Sie, die Anfeindungen gegen die Krimtataren entschieden zurückzuweisen und sich für eine massive Verbesserung der Lage der Krimtataren einzusetzen. Dies wird den sozialen Frieden auf der Krim stärken. Im Einzelnen geht es um folgende Problemfelder:

Seit Beginn der Rückkehrbewegung Mitte der 1980er Jahre sind 300 Siedlungen mit zwischen 500 und 6.000 Einwohnern entstanden. Die Infrastruktur in diesen Siedlungen ist unzureichend. Häufig fehlen Straßen, die Wasser- und Gasversorgung. Die Arbeitslosigkeit unter den Krimtataren ist doppelt so hoch wie beim Rest der Bevölkerung der Krim. Obwohl die Krimtataren mittlerweile 13% der Bevölkerung auf der Halbinsel stellen, sind sie nur mit 1-4% in Behörden und Polizei vertreten. Zwischen 100.000 und 150.000 Krimtataren leben noch an den Orten der Verbannung, hauptsächlich in Usbekistan. Auch sie wollen gerne auf die Krim zurückkehren. Diese wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hindern sie jedoch an der Einreise auf die Krim. Auch offene Fragen des gesamten Repatriierungsprozesses, d.h. die Klärung der Staatsangehörigkeit der Krimtataren hindert die Menschen an der Rückkehr.

Leider gibt es immer noch keine befriedigende Lösung der Landrechtsfrage. Das führt dazu, dass Krimtataren beschuldigt werden, illegal auf Land zu siedeln, was Rechtsstreitigkeiten und Diskriminierung zur Folge hat.

Ein großes Problem stellt die Bewahrung und Pflege der Muttersprache, der Kultur und nationalen Identität dar. Nach der Deportation wurden alle Zeugnisse krimtatarischer Kultur vernichtet, die Dörfer umbenannt. Im Exil durfte die Sprache weder gesprochen noch unterrichtet werden. Heute fehlt es an Geld für Schulen. Über 50 Jahre lang ist kein krimtatarisches Schulbuch gedruckt, kein Lehrer ausgebildet worden. Heute existieren 15 Schulen, an denen nicht einmal 10% der krimtatarischen Kinder in ihrer Sprache unterrichtet werden können.

Tägliche Diskriminierung, gerade auch auf dem Feld der Religionsfreiheit, belasten den Alltag vieler Krimtataren heute sehr. So wurde in Simferopol sechs Jahre darüber verhandelt und gestritten, ob auf einem Stück Land die Hauptmoschee der Krim gebaut werden darf. Trotz Baugrund-Zusagen wird der Baubeginn weiter verweigert. Im gleichen Zeitraum wurden fünf Baupläne für orthodoxe Kirchen genehmigt.

Sehr geehrter Herr Präsident, wir bitten Sie, sich dieser Probleme anzunehmen und sie einer Lösung zuzuführen. Die Vorgängerregierungen haben das Problem immer weiter vor sich her geschoben und es so nur verschärft. Es ist für den sozialen Frieden und die positive auch wirtschaftliche Entwicklung auf der Krim wichtig, dass die Diskriminierung der Krimtataren beendet wird. Sie sollten sich in diesem Sinne auch mit Oleg Rodivilov auseinandersetzen.

Uns Europäer verbinden die Prinzipien der freiheitlichen Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und des Minderheitenschutzes. In diesem Zusammenhang setzen wir uns auch für den baldigen Beitritt der Ukraine in die Europäische Union ein.

Mit hochachtungsvollen Grüßen,

Tilman Zülch, Bundesvorsitzender der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)

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Aus der Zeitschrift AVDET (Heimkehr); Organ des Nationalparlamentes des krimtatarischen Volkes Medschlis

Президенту Украины Виктору Януковичу

Пнд [Montag], 05/03/2010  Номер выпуска [Ausgabe]: 17

Берлин, 19.4.2010

Многоуважаемый господин Президент!

Украина, как и многие европейские страны, является многонациональным государством, в котором проживают представители самых различных конфессий. Это отражено в Конституции Украины. Права этнических и религиозных меньшинств закреплены в Конституции и находятся под ее защитой. Но их практическое претворение, к сожалению, оставляет желать лучшего.

Международная организация по защите прав человека «Общество защиты угнетенных народов» уже более сорока лет выступает в защиту прав находящихся под угрозой и преследуемых меньшинств во всем мире. В 2006 г. «Обществу защиты угнетенных народов» выпала большая честь, вручить Международную премию по правам человека Мустафе Джемилеву, справедливо называемого «Ганди крымскотатарского народа». На фоне исторического факта, когда в 1944 г. крымские татары стали жертвой геноцида, мы были ошеломлены тем, что в последнее время совершаются нападки на их демократические структуры, а именно Меджлис и Курултай. В начале апреля с.г. активист «Русского блока» в Крымском парламенте Олег Родивилов устроил травлю против крымских татар. Меджлис якобы является криминальным и нарушает Конституцию Украины. Русская диаспора в Крыму и Таврический союз также написали в Ваш адрес открытое письмо с требованием запретить Меджлис. Такого рода инициативы являются открытым ударом в лицо всем тем, кто десятилетия в наитруднейших условиях борется за демократию и свободу. Крымские татары нуждаются в Вашем особом внимании и поддержкe.

От имени «Общества защиты угнетенных народов» я прошу Вас, решительно выступить против нападок в отношении крымских татар и предпринять неотложные меры для улучшения их ситуации. Это будет способствовать укреплению социального мира в Крыму. Конкретно речь идет по следующим вопросам:

С середины 1980 гг., когда крымские татары стали возвращаться в Крым, число населенных пунктов возросло до 300, с численностью между 300 и 6000 человек. Инфраструктура в этих селениях развита недостаточно: не хватает дорог, снабжения водой и газом. Безработица среди крымских татар в два раза выше, чем среди остального населения. Несмотря на то, что крымские татары составляют 13% населения полуострова, однако их представительство в ведомственных учреждениях и милиции всего 1-4%. Примерно 100-150 тысяч крымских татар по-прежнему проживают в местах высылки, в основном в Узбекистане. Они также желают вернуться, но социально-экономическая ситуация в Крыму препятствует их возвращению. Препятствием для их возвращению являются также все еще нерешенные вопросы всего процесса репатриации, то есть разрешение проблемы гражданства крымских татар.

До сих пор остается неудовлетворительным вопрос о правах на землю. Это ведет к тому, что крымских татар обвиняют в том, что они селятся нелегально, и это в свою очередь приводит к судебным разбирательствам и дискриминации.

Большая трудность возникает в связи с сохранением и развитием родного языка, культуры и национальной идентичности. После того, как депортация крымских татар была завершена, в Крыму были уничтожены все свидетельства крымскотатарской культуры, переименованы населенные пункты. В местах высылки им было запрещено  преподавать на родном языке. А сегодня не хватает средств для школ. На сегодняшний день существует 15 школ, в которых менее 10 % детей крымских татар обучаются на родном языке.

Постоянная дискриминация, особенно в области свободы религии, ложится тяжким бременем на будни крымских татар. Вот уже шесть лет в Симферополе ведется спор о том, разрешить или не разрешить строительство главной мечети Крыма. Вопреки согласия на строительный грунт началу строительства до сих пор чинятся препятствия. И в то же самое время было разрешено строительство пяти православных церквей.

Многоуважаемый господин Президент, мы настоятельно просим Вас взять на себя заботу о вышеперечисленных проблемах и их разрешении. Предыдущее правительство то и дело отодвигало их на задний план и, тем самым, способствовало обострению ситуации. Для поддержания социального мира, положительного и экономического развития в Крыму важно, чтобы была прекращена дискриминация крымских татар. По данному вопросу следовало бы объясниться и с Олегом Родивиловым.

Нас, европейцев, объединяют принципы свободомыслящей демократии, правовой государственности и защиты меньшинств. Руководствуясь этими принципами, мы можем и будем выступать за скорейшее вступление Украины в Европейский Союз.

С уважением,

Тильман Цюльх, Генеральный секретарь Ассоциaции по зaщите репрессировaнных нaродов (GfbV)

Auch die krimtatarischen Wochenzeitungen Qirim [Krim] und Янъы Дюнъя [Yañı Dunya/Neue Welt] berichteten von dem offenen Brief. Hier die entsprechenden Seiten:



Charkow-Vertrag ein Teil von Bombenmechanismus
Mai 6, 2010, 12:59 am
Filed under: Archiv 2010, Kommentiert

Kommentar

«Die Ratifikation dieses Vertrages impliziert einen Bomben-Mechanismus, der eindeutig zum Zerfall der Ukraine führen könnte…»

Der Präsident der Ukraine, Viktor Janukovitsch, demonstriert mit überraschenden Entscheidungen auf dem Gebiet der Außenpolitik in seiner bisherigen kurzen Amtszeit, daß der die Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Das letzte Abkommen mit der Russländischen Föderation, das am 21. April in Charkow mit dem Präsidenten Rußlands vereinbart wurde, verblüffte dann jedoch viele. Die US-Administration prüft nun genau die Lage, über die der Experte des Zenrums für amreikanische Entwicklung Samuel Charap in den Medien verbreitete: „Uns erstaunt sehr diese Verlängerung der Nutzungsfrist der Schwarzmeerflotte der Russländischen Föderation“.

Die Vertreter der Orangenen Revolution verfielen in einen ebenso starken Schockzustand. Sie verstehen nun, im Falle der Ratifizierung des Charkower Abkommens zwischen Janukowitsch und Medwedew durch die Hohe Rada der Ukraine wird die Ukraine unumkehrbare Veränderungen in ihrem politischen Schicksal erleben. Sie kann nicht nur zur Sphäre der russländischen geopolitischen Interessen werden, sondern sich zum Teil von deren Welt wandeln, und der Name von dieser ist Russische Welt.

Der Eindruck von der letzten Entscheidung unseres Präsidenten in Charkow ist, als hätte er die Ukraine verlost, ähnlich solchen Projekten, die schon als Klassiker gelten, u. z. Kriegssituationen im Kaukasus im August 2008 oder in Jugoslawien 1999 hervorbrachten, doch diesmal ohne einzigen Schuss, ohne den Alptraum von Bombardierungen und Gewalt. Als Ergebnis dieses neuen Projektes können in Wirklichkeit neue wesentliche Korrekturen in das Kräfte- und Interessenverhältnis der Weltpolitik eingebracht werden, wobei diese Kräfte und Interessen nach dem Zerfall der UdSSR beständig geworden sind. Ist doch dieses ganze Prozedere nicht singulär, in deren Ergebnis selbst der Sinn der Unabhängigkeit der Ukraine nach und nach unwichtig wird und sich auf hintere Ränge verschiebt? Das Traurigste daran ist, dass die Ukraine ihre Unabhängigkeit nicht als Ergebnis einer Militäraggression gegen die Ukraine, sondern durch die Entscheidung der Abgeordneten der Hohen Rada verliert.

Ex-Präsident Viktor Juschtschenko und die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko verstehen, dass die Situation heikel ist, und charakterisieren das Abkommen als „Okkupation“, „wirtschaftliche Kapitulation“ und „Charkower Pakt“ – letzteres offensichtlich in Anspielung auf den Molotow-Ribbentrop-Pakt von 1939. Man muss jedoch erwähnen, dass auch Timoschenko und Juschtschenko ihren Anteil am Unterzeichnen des Charkower Abkommens hatten. Timoschenko gestaltete das Gas-Abkommen mit Russland im Februar 2009 noch so, dass seine Bedingungen später nicht als Knebelvertrag galten, obwohl sie für die Ukraine ziemlich ungünstig waren. Juschtschenko als Präsident hätte jenes Abkommen für ungültig erklären können, er nutzte seine Vollmacht jedoch nicht.

Die negativen Eindrücke Europas vom „Gas-Krieg“ zwischen Russland und der Ukraine im Winter 2009 beeinflussten möglicherweise die neutrale Reaktion der EU und NATO auf die Ergebnisse des Charkower Treffens von Janukowitsch und Medwedew. Ein größeres Gewicht in dieser Situation hat allerdings die Haltung der USA, die in den geopolitischen Prozessen die entscheidende Rolle spielen. Heute weiß man, dass die Obama-Administration der Ukraine bedauerlicherweise keine große Bedeutung beimisst.

Wahrscheinlich deswegen wurde die Pressemitteilung, dass die USA über das Charkower Abkommen angeblich schockiert seien, erst am 24. April abgegeben – drei Tage nach dem Abkommen.

Die Euphorie über das ukrainische „Geschenk“ – die Übergabe des Vorrats an hoch angereichertem ukrainischem Uran unter die Kontrolle von Washington – begann zu diesem Zeitpunkt offenbar zu verschwinden. Sicherlich kann man 90 Kilo des hoch angereicherten ukrainischen Urans nicht mit den Dividenden vergleichen, die Russland erhält, falls die Ukrainische Rada das Charkower Abkommen ratifiziert. Die US-Administration begriff, wenn auch erst drei Tage nach dem Erhalt von Nachrichten aus Charkow, dass die geschickte Kombination im russischen geopolitischen Spiel unzweideutig und grob den Interessen der USA in der Ukraine schadet.

Meiner Meinung nach werden die USA, wenn die Hohe Rada am 27. April den Charkow-Vertrag über die Stationierung der Schwarzmeer-Flotte auf der Krim ratifiziert, erst später die Ausmaße des Verlustes für die US-Interessenssphäre in der Ukraine und im postsowjetischen Raum realisieren. Denn dieser Verlust wird global aussehen und klar die Bemühungen der USA und westlicher Ländern konterkarieren, die in die Konfrontation mit der UdSSR investiert wurden und zu deren Zusammenbruch führten.

Wenn die Ratifizierung des Charkow-Vertrages stattfinden wird, dann wird dieser außenpolitische Sieg Russlands zu einer sich lohnenden Revanche, zu einer `Ohrfeige` für den Zusammenbruch der UdSSR. Die Ergebnisse der Ratifikation dieses Vertrages implizieren einen Bombenmechanismus, der eindeutig zur Implosion der Ukraine führen könnte. Jetzt kann das Szenarium des Kosovo-Albtraumes, das viele Politiker der Ukraine und Russlands so oft für die Krim vorhergesagt haben, tatsächlich real werden, nun aber mit Hilfe des sich verstärkenden russischen Faktors. Und entsprechend den traditionellen Vorstellungen über die „große russische Seele“, kann das ganze Territorium der Ukraine nun die Fläche für diese russischen Kosovo-Ambitionen werden.

Daneben lässt mir noch ein Gedanke keine Ruhe. Wenn man den ganzen Charakter der „Überraschungen der Charkow-Verträge“ und die laxen Reaktionen der führenden geopolitischen Akteure analysiert, so kann es gut sein, dass die Ukraine und Russland im Vorfeld intensive aber geheime Gespräche mit der Europäischen Union, den USA und internationalen Organisationen geführt haben.

Wenn sich dies irgendwann bestätigt, kann man den westlichen Ländern vorwerfen, mit unterschiedlichem Maß  zu messen. Wir werden mit Recht behaupten können, dass für die heutigen westlichen Machthaber die demokratischen Werte und Prinzipien nur Instrumente für die Verteidigung eigener konjunktureller Interessen darstellen. Dies würde man als einen Schlag nicht nur gegen die Ukraine bewerten können, sondern auch gegen alle Hoffnungen und Positionen demokratischer Kräfte im gesamten postsowjetischen Raum, die sich bereits zur sowjetischen Zeit um den Preis großer tragischer Opfer formierten.

Wir vermissen heute die treue und starke Stimme des wahren Freundes der Ukraine – den tragisch verunglückten polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, der unserem Land aufrichtig die Integration in die EU wünschte. Bedauerlicherweise hat die Ukraine nicht viele solcher Freunde. Noch bedauerlicher ist jedoch, dass manche ukrainische Politiker behaupten, der Prozess der EU-Integration sei für die Ukraine unnötig.

Unabhängig von der Entwicklung der Situation in der Ukraine nach dem 27. April, müssen das Krimtatarische Parlament und der Weltkongress der Krimtataren eine internationale Konferenz über die Sicherheit des krimtatarischen Volkes vorbereiten und durchführen.

In Zusammenhang mit den letzten Ereignissen muss man auch einen Appell an die Regierungen der Ukraine, der EU-Länder, der USA, Russlands, der Türkei und der GUS-Staaten sowie an internationale Organisationen wie die UNO, Europa-Rat und OSCE vorbereiten. Mittels eines solchen Appells kann das krimtatarische Volk als Subjekt des internationalen Rechts auch die Frage nach Unterstützung bei der Lösung seines nationalen Problems stellen, das sich aus der Deportation der Krimtataren im Jahre 1944 entwickelte. Es soll die Sicherheit der Krimtataren gewährleistet werden – sowie das Recht, als indigenes Volk auf der Krim leben und sich entwickeln zu können.

Ali Khamzin,                                                                          Bachtschisaraj, der 26. April 2010

Leiter der Abteilung für Außenbeziehungen beim Parlament des krimtatarischen Volkes „Medschlis“

Kontakt: kirimtatardunya@gmail.com

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«В последствиях ратификации

этого документа заложен механизм бомбы,

который может привести к распаду Украины»

Президент Украины Виктор Янукович за короткий период своей деятельности, демонстрируя неожиданные решения по важным вопросам во внешнеполитической области, привлекает к себе пристальное внимание.

Последнее соглашение с Российской Федерацией, подписанное 21 апреля в Харькове с президентом России, ошеломило многих. Администрация США испытало именно это состояние, о чём СМИ признался эксперт Центра за американский прогресс Самуэль Чарап, отметив «Но нас поражает срок пролонгации базирования ЧФ РФ».

Не менее в шоковом состоянии сегодня пребывают и представители оранжевой революции, которые понимают, что в случае ратификации харьковских соглашений Януковича и Медведева Верховной Радой Украины в политической судьбе Украины произойдут необратимые изменения. Она может стать не просто сферой российских геополитических интересов, а частью её мира, название которому – Русский.

Впечатление от последнего решения нашего Президента в Харькове такое, будто  Украину разыграли подобно ставшими уже классическими проектами: как военные события на Кавказе в августе 2008 года или Югославские в 1999 году, но на этот раз без единого выстрела, кошмарных бомбежек и насилия. Ведь на самом деле в результате этого нового проекта, могут быть внесены существенные коррективы в соотношение сил и интересов мировой политики, успевших устояться после распада СССР. Но разве не уникальна вся эта разработка, в результате которой сам смысл независимости Украины постепенно становиться не важным и отодвигается на задний и второстепенный план. Самое трагическое в том, что перспектива потери Украиной независимости 27 апреля совершится не в результате военной агрессии против Украины, а решением депутатов Верховной Рады Украины.

Понимая сложность этой ситуации, экс-президент Виктор Ющенко и экс-премьер Юлия Тимошенко назвали соглашение в Харькове „военной оккупацией“, „экономической капитуляцией“ или „харьковским пактом“, видимо, ассоциируя его, с известным Пактом Молотова-Риббентропа. Но надо признать, к подписанию харьковских соглашений в некоторой степени причастны и Тимошенко и Ющенко. И если первая, в феврале 2009 года, подписывая газовые соглашения с Россией, была в состоянии повлиять на них так, чтобы позднее их не объявляли кабальными для Украины, то второй, как президент страны, не использовал своих полномочий, чтобы аннулировать эту невыгодную сделку для Украины.

Наверное, на нейтральную реакцию Европейского Союза и НАТО на результаты харьковской встречи Януковича и Медведева сыграли свою роль и отрицательные впечатления Европы от «газовой войны» между Россией и Украиной зимой 2009 года. Но большая роль в этой ситуации принадлежит позиции США, признанному фавориту в геополитическом пространстве. Сегодня известно, что политику по отношению к Украине администрация США Барака Обамы не рассматривает как важную, что является явной ошибкой.

Возможно именно поэтому лишь спустя три дня после подписания харьковских соглашений, 24 апреля в прессе появилось сообщение, что США якобы шокированы этим фактом.

Оно и понятно, наверное, эйфория в США от удовольствия, которое оно испытывало от украинского «подарка» – передачи под контроль Вашингтона запасов высокообогащенного украинского урана, начала рассеиваться. Конечно, 90 килограмм высокообогащенного украинского урана, совершенно несравнимы с дивидендами от харьковских соглашений для России в случае их ратификации Верховной Радой Украины. Явно администрация США, пусть хоть и на третьи сутки после известий из Харькова, постепенно начинает понимать, что ловкая комбинация российской геополитической игры, не двусмысленно и грубо вытесняет интересы США в Украине.

Думаю, что если 27 апреля Верховная Рада ратифицирует харьковское соглашение по базированию ЧФ РФ в Крыму, США лишь после осознает масштабы поражения американских интересов в Украине и на постсоветском пространстве. Ибо это поражение будет выглядеть глобальным и отчетливо контрастировать на фоне усилий США и западных стран, вложенных в противостояние с СССР и приведших к его распаду.

Если ратификация харьковских соглашений народными избранниками Украины состоится, то эта внешнеполитическая победа России будет достойным её реваншом и «ответом-пощёчиной», за распад СССР. В последствиях ратификации этого документа заложен механизм бомбы, который может однозначно привести к распаду Украины. Теперь сценарий косовской страшилки, который так часто многие политики Украины и России предрекали в Крыму, традиционно связывая его с  Меджлисом крымскотатарского народа и крымскими татарами, один в один может быть осуществлён, но только с помощью усиливающегося российского фактора. И в соответствие с традиционным понятием «о широте русской души», площадкой для этих российских косовских амбиций может выступить вся территория Украины.

Также преследует ещё одна навязчивая мысль, к которой не хочешь прислушиваться и гонишь прочь. Но, учитывая весь характер «сюрпризов харьковских соглашений» и реакцию ведущих геополитических игроков, вполне допустимо, что Украина и Россия провели предварительные широкие, но секретные консультации с Европейским Союзом, США и международными организациями. И если это когда-нибудь подтвердится, в таком случае позицию нынешних Западных стран можно обвинить в двойных стандартах. Тогда мы будем иметь право заявить, что для современных её руководителей демократические ценности и принципы являются лишь инструментом для защиты своих конъюнктурных интересов. А это представляется уже ударом не только по Украине, но и по всем надеждам и позициям демократических сил на постсоветском пространстве, формировавшимся ещё в советский период и ценой огромных и трагических жертв.

Как нам не хватает сегодня верного и сильного голоса поддержки настоящего друга Украины – трагически погибшего Президента Польши Леха Качиньского, который искренне желал её интеграции в Европейский Союз. К сожалению, таких друзей у Украины не так много. Однако ещё больше угнетают рассуждения украинских политиков, утверждающих, что процесс евроинтеграции для нашей страны является не нужным.

Независимо от возможного развития ситуации в Украине после 27 апреля, Меджлис крымскотатарского народа и Всемирный Конгресс крымских татар должны изучить вопрос по подготовке и проведению международной конференции по вопросу безопасности крымскотатарского народа.

В связи с этими событиями, необходимо также рассмотреть вопрос о подготовке обращения к руководству Украины, странам ЕС, США, России и Турции, странам СНГ, а также международным организациям – ООН, ПАСЕ и ОБСЕ. В этом обращении крымскотатарский народ, как субъект международного права, может поставить вопрос о содействии решению своего национального вопроса, возникшего в связи с депортацией из Крыма в 1944 году, и обеспечении гарантий, безопасности, право на существование и развития как коренного народа в Крыму.

Али Хамзин

Руководитель отдела внешних связей

Меджлиса крымскотатарского народа

Бахчисарай, 26 апреля 2010 года.



Die Karaimen: Eine tatarisch-jüdische Minderheit in Europa
Februar 11, 2010, 2:18 pm
Filed under: Archiv 2009

Die thora-gläubigen Karaimen siedeln seit dem Mittelalter im Mittelmeer- und Schwarzmeerraum. In den ehemals wichtigen Zentren ihrer Religionsgemeinschaft, in Kleinasien, auf der Krim und in Polen-Litauen, leben heute noch kleinere Gemeinden, aber auch in Rußland und Israel sowie in Frankreich, Deutschland, Österreich, Australien und Nordamerika. In Israel leben etwa 25.000 Karaimen, dort werden sie als nichtreligiöse Juden eingestuft. Außerhalb Israels wird die Zahl der Karaimen auf 20.000 geschätzt, davon etwa 3.000 bis 4.000 in Litauen und der Ukraine, ein paar hundert in der Türkei.

Die turkstämmigen Karaimen (auch: Karaiten/Karäer) Osteuropas im heutigen Litauen und Polen gehen auf karaimische Soldatenfamilien zurück, die von Vytautas dem Großen, Großfürst von Litauen, im Jahre 1397/98 aus dem Schwarzmeergebiet angeworben und als Burgwachen in der Nähe der alten litauischen Hauptstadt Trakaj angesiedelt wurden. Im litauischen Nationalmuseum von Trakaj ist ihnen entsprechend ihrer Bedeutung für die Entstehung Litauens eine eigene Abteilung gewidmet – wie auch den muslimischen Tataren. Sie betrachten ihren Glauben überwiegend als eine gegenüber dem Judentum eigenständige biblische Religion, benutzen die hebräische Schrift und sprechen einen tatarischen Dialekt, der dem Krimtatarischen nahesteht. Das Karaimische ist eine Turksprache, die vom Aussterben bedroht ist. In Litauen gibt es Ansätze, die Sprache als kulturelles Erbe und als Sakralsprache zu erhalten. Auf der Krim benutzen die Karäer ihre Muttersprache beim Gottesdienst neben dem Hebräischen.

Während der deutschen Besetzung ihrer Siedlungsgebiete im Zweiten Weltkrieg gab es unter den verschiedenen Führern von Ostministerium, SS, Reichssicherheitshauptamt und Wehrmacht unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Vernichtung oder Verschonung der Karaimen. Schließlich galten die Karaimen als “tatarische Volksgruppe” und waren daher von der Verfolgung durch Wehrmacht und SS ausgenommen, was zwischen den einzelnen Institutionen des “Dritten Reichs” umstritten war.

Ein ehemals religiöses und heute historisches Zentrum der Karaimen ist die Stadt Trakai in Litauen. Im Jahre 2007 lebten neben rund 5.000 Tataren noch 257 Karäer in Litauen. Etliche von ihnen sprechen noch Karaimisch, zumindest die ältere Generation. In Trakai und Vilnius gibt es auch je eine Kenasse (Gebetshaus), wo Priester – Hazzan genannt – auf Karaimisch ihre Gemeinden betreuen. Die Turkologin Éva Csató-Johanson (Mainz/Uppsala) erarbeitet seit Jahren zusammen mit Karaimen in Litauen und auf der Krim moderne Schulmedien, Lexika und Workshops, um der weiteren Auslöschung der Sprache Einhalt zu gebieten.

Das historische und religiöse Zentrum der Karaimen des Orients und Nordosteuropas ist traditionell die Krim, wo nach dem Zerfall der Sowjetunion eine uralte Gemeinde in Jevpatoria/Qezlev wiederauferstanden ist. Die Gemeinde hat mit großer Kraft und finanzieller Hilfe von Michel Sarach, einem Karäer aus Frankreich, die zwei bedeutendsten Kenasses in Qezlev wiederaufgebaut. Sie sind auch die Hauptanziehungspunkte für Touristen auf der Krim. Diesen lichten Gotteshäusern angeschlossen sind ein Kulturzentrum mit Bibliothek und ein karaimisches Restaurant.

Mittels Vernetzung und Zusammenschluss der Diasporagemeinden wird versucht, Kräfte für den Erhalt von Religion und Sprache zu bündeln. Karaimischer Prominenter ist in München der gebürtig aus Aserbaidschan stammende Hayim Malkhasy. Im Juli 2009 fand in Prag der Erste Weltkongress der Karaimen unter dem Motto “Karaites and Karaism – yesterday, today and tomorrow” mit Teilnehmern aus Aserbaidschan, Israel, Krim, Polen statt.

Erschienen in „bedrohte völker„, Nr. 256-257 (5-6 2009), S. 41.



Singer Ferhat Tunç in his seventh court case
Juli 16, 2009, 2:09 am
Filed under: Archiv 2009

(Erstveröffentlichung auf freemuse.de, 15.7.2009)

Police brutality against the Kurdish-Turkish singer Ferhat Tunç lead to a court case — not against the police, but against the singer .

in prison @ christmas eve 2008

By Anja Hotopp, reporting from Berlin

Prison threat 4-12 years. Under this headline news agencies in Turkey report of a new scandal in the Turkish justice sector. A new case against the Kurdish musician Ferhat Tunç and his friend from Germany, İsmail Özen, has been opened, whereas the case according to several media sources and the singer should have opened against the police for brutality.

Tunç is one of the best selling protest musicians of his country. But popularity does not protect him against police harassment on the Bosporus. So far, six court cases are pending against Tunç, now followed by the seventh. There seems to be no end to the repression and harassment that the singer faces in his home country. Last year alone, he was arrested twice.

Interrogated and beaten
The most recent case stems from 24 December 2008 when Ferhat Tunç was arrested while he was having lunch at a restaurant in Istanbul because a friend of his, İsmail Özen, who joined him for the lunch, could not present his identity papers to police as they were searching the restaurant.

The papers were in a car, parked only a few minutes walk away from the restaurant. Rather than accompanying İsmail Özen and Ferhat Tunç — who are both German citizens — to the car, approximately 30 civil police officers arrested them and brought them to a nearby police station.

Ferhat Tunç and his companion were taken to the police station handcuffed for a ‘health review’. According to Ferhat Tunç, he and his friend had to spend the night in the police custody, where they, according to Tunç, were abused and beaten during the interrogations. The next day both were released.

During the night at the police station Ferhat Tunç heard the loud screams of his friend. They could be heard from the top floor of the police building to the basement. He asked the police indignantly: “Are we in the mountains here? So why are you beating that young man?” [The statement about the mountains refers to the brutality of Turkish military in Kurdish mountain region — something which is generally censored in the Turkish public sphere].

Filed a complaint
Ferhat Tunç has already long been in the spotlight of the Turkish security agencies. In March 2008, he was the target of a violent ‘pick-up’ by armored security forces at 06:00 in the morning. Six police officers from Istanbul entered the house where he lives with his wife and daughter.

Under the indictment of having ‘insulted’ and ‘resisted the police’ the most recent court case was opened against Ferhat Tunç in Istanbul on 9 June 2009. The persecutor demanded between four and 12 years imprisonment for his ‘harassment against the police’.

Although Ferhat Tunç filed a complaint against four officers involved in the socalled ‘ID check’ at the restaurant last December, no procedure has been opened. Ferhat Tunç charged the police for violence, because of the kicks and blows he and his friend received.

In the court Ferhat Tunç and his friend raised the question why they and not the policemen were the accused. In order to prove their innocence, they requested the court to review the security camera videos of a school, which happened to be on Istanbul’s Istiklal Caddesi pedestrian street. The cameras would reveal police brutality during the arrest, they said.

“A civilian not able to present an ID-card should never be treated in this way by the police. No one should be treated in such a way, no matter what,” said Ferhat Tunç to the press.

The policemen involved in the incident, Kazim Urun, Muhammet Fatih Karaburç, Necati ve Hüseyin and Yıldız Samli participated in the opening proceedings.

New album
Ferhat Tunç who frequently tours Germany will perform at the forthcoming celebration of ‘20 years of twinning Istanbul-Berlin’ and the Festival ‘Music & Politics’.

“I have now been working more than two years on my next album — but because of the court proceedings, accusations, threats and censorship, I was only able to finish it recently. These proceedings hinder me in my work as an artist — physically and mentally,” explained Ferhat Tunç.

But he he says he will not give up. Ferhat Tunç wants to remain strong and active for a social change in Turkey. Erstveröffentlichung